Inhaltsverzeichnis:
- Die wichtigsten Fakten
- Schach als Werkzeug für Respekt und Dialog
- Christian Srienz und Sarah Maienschein als treibende Kräfte
- Begegnungen, die verbinden
- Anerkennung über Wien hinaus
Die wichtigsten Fakten
- Start 2010 in Wien-Donaustadt
- Trägerschaft: Wohnpartner Wien
- Regelmäßige Schachnachmittage, Turniere, Workshops
- Zielgruppen: Kinder, Senioren, Menschen mit Migrationsgeschichte
- Kooperationen mit Schulen und sozialen Diensten
- Beteiligung von Weltklassespielerinnen wie Anna und Mariya Muzychuk
Schach als Werkzeug für Respekt und Dialog
Die Initiative Wohnpartner Wien ist mit rund 150 Mitarbeitenden in allen 23 Wiener Bezirken aktiv. Ihr Ziel: das friedliche und solidarische Zusammenleben in den mehr als 220.000 Gemeindebauwohnungen zu fördern. Konflikte zwischen Nachbarn, kulturelle Missverständnisse oder Sprachbarrieren gehören zur Realität – genau hier setzt das Projekt an. Schach bietet eine klare, nonverbale Struktur und erlaubt Kommunikation auch dort, wo Worte fehlen.
Das Projekt „Nachbarschaftliche Schachpartie“ wurde vom Mitarbeiter und Schachspieler Christian Srienz ins Leben gerufen. Die kroatische Kollegin Calija Snjezana inspirierte ihn dabei mit dem Vorbild Sarajevo, wo öffentliches Schachspielen fest zur Alltagskultur gehört. Gemeinsam legten sie den Grundstein für eine außergewöhnliche Nachbarschaftsinitiative, die generationsübergreifend und inklusiv gestaltet ist.
Besonderes Augenmerk liegt auf kreativen Formaten, die Kommunikation fördern. Kinder lernen strategisches Denken, Senioren teilen Lebenserfahrung. In vielen Fällen entsteht dabei ein überraschend intensiver sozialer Austausch. Ein einfaches Brettspiel wird zum Begegnungsraum für Menschen, die sonst nur aneinander vorbeigehen.
Christian Srienz und Sarah Maienschein als treibende Kräfte
Christian Srienz konnte seine Kollegen, obwohl viele keine Schacherfahrung hatten, frühzeitig für die Idee gewinnen. Sein fachliches Wissen, das er unter anderem im Jugendzentrum gesammelt hatte, nutzte er für den Aufbau des Programms. Seit 2014 koordiniert Sarah Maienschein, Wiener Landesmeisterin 2011, das Projekt. Ihr Engagement brachte dem Projekt neue Dynamik.
Sie hebt vor allem die Wirkung auf Kinder hervor: „Viele lernen beim Schach Disziplin und Konzentration, was sie auch in der Schule anwenden.“ Ihre eigenen Erfahrungen als Spielerin nutzt sie, um Rollenbilder aufzubrechen. Mädchen sollen sich ermutigt fühlen, gegen sie zu spielen – und selbst Meisterinnen zu werden. Die Resonanz zeigt: Das gelingt.
Ein weiteres Element ist der Verein „Dynamo wohnpartner“, eine Neugründung mit dem Ziel, sportliches Miteinander im Geiste der Arbeitersportbewegung der 1920er-Jahre zu fördern. Bisher zählt er 20 Mitglieder. Diese unterstützen regelmäßig Veranstaltungen und tragen zur Verstetigung des Projekts bei.
Begegnungen, die verbinden
Regelmäßige Turniere und offene Spielnachmittage sind das Herzstück des Projekts. Hier treffen Anfänger auf Routiniers, Kinder auf Senioren. Es entstehen Szenen, die für viele Bewohner zuvor unvorstellbar waren: Kinder, die sonst lautstark Fußball spielten, sitzen still am Schachbrett; ein älterer Herr spielt gegen eine junge muslimische Frau – beide nicken sich respektvoll zu. Das Projekt wird zudem mit weiteren sozialen Angeboten kombiniert:
- Eltern erhalten bei SIBU (Soziale Information, Beratung und Unterstützung) Hilfe beim Ausfüllen von Formularen
- Kinder spielen in dieser Zeit Schach
- Gemeinsame Feste mit Musik und Teegebäck lockern die Atmosphäre auf
Die Standardausrüstung besteht aus einem Rollkoffer, fünf Spielsets, einem Stehtisch und Infomaterial. Bei größeren Veranstaltungen kommen Zelte, zusätzliche Trainer und Kinderaktionen hinzu. Die logistische Planung ermöglicht flexible Einsätze – von kleinen Innenhöfen bis hin zu öffentlichen Plätzen.
Anerkennung über Wien hinaus
Inzwischen wurde das Projekt auch über die Grenzen Wiens hinaus bekannt. Fachkreise schätzen es als gelungenes Beispiel für niederschwellige Bildungsarbeit. Anfragen aus Graz und dem Ausland zeigen das große Interesse. Bisher fehlt es jedoch an dauerhaft gesicherten finanziellen Ressourcen, um das Modell andernorts zu etablieren.
Die Corona-Zeit brachte das Projekt zeitweise zum Stillstand. Doch inzwischen nähert man sich wieder der Zahl von über 100 Veranstaltungen jährlich. Auch neue Veranstaltungsformate werden geprüft, darunter Ferienkurse und inklusive Angebote mit Menschen mit Behinderungen.
Besondere Momente prägen das Projekt: Ein junges Mädchen, das nun mit dem Vater übt. Zwei Nachbarn, die sich erst am Schachbrett kennenlernen. Senioren, die stolz von ihren Jugendpartien berichten. All das zeigt, wie tief das Projekt inzwischen im städtischen Leben verankert ist.
Wohnpartner Wien beweist, dass Schach mehr als ein Spiel ist. Es ist Begegnung, Respekt und Bildung auf einem Quadratmeter. Eine Figur ziehen, einen Zug wagen – das ist oft der erste Schritt zu einem echten Gespräch. Und manchmal zu einer Freundschaft, die über Jahrzehnte trägt.
Quelle: Chess Base